13. Dezember 2002

Wort und Bild - verlässliche Botschafter der Kultur

Siebenbürgisch-Sächsische Kulturtage 2002 in Gundelsheim am Neckar: Lesungen Karin Gündisch und Dieter Schlesak / Fotoausstellung Hermannstadt von Karlheinz Rothenberger
Logo der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage 2002
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Kultur wird nicht an ein paar auserlesenen Tagen geschaffen oder verbreitet. Aber ihr Bekanntheitsgrad kann erhöht und ihre Wirkung potenziert werden durch, ja zum Beispiel durch die Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage, die seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik siebenbürgisch-sächsische Kulturleistungen – tradierte, moderne – propagieren. In diesem Jahr fanden die Kulturtage in Gundelsheim statt, wo das siebenbürgisch-sächsische Kulturzentrum in Deutschland sich befindet, arbeitet und wirkt und wo die Kreisstadt Heilbronn, auch dank der großen Zahl kulturell interessierter siebenbürgischer Landsleute, neben der Stadt Gundelsheim, die gute Sache effektiv unterstützen konnte.

Auf vielen Schienen werden Anliegen herangetragen und verbreitet. Am intensivsten wohl durch das Wort der Schriftsteller, den Trägern unserer aktuellen Kultur. Die diesjährigen Kulturtage haben den Dialog zwischen allen Schriftstellergenerationen fortgesetzt und erweitert. Die Reihe der Lesungen im Rahmen der Kulturtage wurde von Karin Gündisch eröffnet.

Karin Gündisch: Aus der Sicht eines Kindes

Die Bücher der aus Heltau stammenden, seit 1984 in Bad Krozingen bei Freiburg i. Br. lebenden Autorin, stehen nicht nur in jedem gut bestückten Kinderbuchregal, ihre Texte finden sich in Schulbüchern, Begleithefte für Lehrer setzen sich intensiv damit auseinander.
Karin Gündisch. Foto: Hans-Werner Schuster
Karin Gündisch. Foto: Hans-Werner Schuster

Karin Gündisch ist eine sehr erfolgreiche Kinderbuchautorin. Worin besteht ihr Erfolg? „Ich wollte nicht vergessen“, sagt sie in einem Interview, und schreibt damit beste Beispiele von Prosa als Erinnerungsliteratur. Sie schreibt Begebenheiten auf, aus dem Land „Weit, hinter den Wäldern“, „Geschichten aus einem anderen Land“, „Geschichten über Astrid“ u.a.m., es sind Geschichten des langsamen und langen Abschiednehmens aus Siebenbürgen, dessen Gründen die Erzählerin unaufdringlich aber sehr wachen Auges, feinsinnig und hautnah nachspürt. Karin Gündisch, Deutschlehrerin und Mutter zweier Kinder, besitzt, über die Erfahrungswerte hinaus, die seltene Gabe, regelrecht in die Sichtweise des empfindsamen, intelligenten Kindes zu mutieren. Aus dessen Erlebnisfundus schöpft dann die Schriftstellerin und Stilistin die aussagestärksten Begebenheiten, Reflexionen und suggestivsten Bilder. Wie gut ihre literarischen Mitteilungen auch bei Kindern in der Bundesrepublik, „Im Land der Schokolade und Bananen“, ankommen, dokumentieren deren Aussagen in Interviews. Da sagt Jochen z.B.: „Ich konnte mich mit Hilfe unserer Klassenlektüre sehr gut in die Lage von Aussiedlern versetzen.“ Was kann ein Schriftsteller sich mehr wünschen, als bis ins Weltbild eines (jungen) Menschen hineinzuwirken!

Schon in Rumänien war Karin Gündisch mit dem Kinderbuchpreis ausgezeichnet worden, in Deutschland kamen 1984 der Peter-Härtling-Preis, 1991 der Kinderbuchpreis der Ausländerbeauftragten des Berliner Senates, ebenso Stipendien hinzu. Im Jahr 2002 erhielt die Autorin den Mildred Batchelder Award, eine hohe amerikanische Auszeichnung für das beste aus einer Fremdsprache übersetzte Kinderbuch des Jahres, „Das Paradies liegt in Amerika“. Aus diesem aufwendig und seriös recherchierten Buch der Auswanderung einer siebenbürgisch-sächsischen Familie um 1900 nach Amerika und über den Anfang dort, las die Autorin. Eine ergreifende Geschichte, wieder aus der Sicht des Kindes geschrieben, anrührend schnörkellos, wach und intelligent, aber tief empfunden; eine kleine Geschichte mehr in der jungen, Pulver dampfenden Geschichte der USA.

Fern jeder Sentimentalität und Rührseligkeit las die routiniert und ungeschönt, dramatisch steigernd und humorig distanziert Vortragende die „Aufzeichnungen“ des Kindes. Wie Professor Ernst Irtel es anschließend aus dem zahlreichen Publikum bestätigte: Man hätte gerne noch viel länger „gelauscht“.

Karin Servatius-Speck, die schon Karin Gündisch vorgestellt hatte, führte eine Woche später in die zweite von vier Lesungen dieser Kulturtage ein. Ebenfalls im stilvollen Festsaal von Schloss Horneck las Dieter Schlesak, der tiefgründig empfindsame, scharfsinnige und unbequeme, umfassend wissende und analytisch zuordnende Lyriker, Essayist, Prosaautor, Übersetzer, von der einschlägigen Presse international gelobt, mit wichtigen Preisen bedacht, der „genaue Befrager der Worte“ (NZZ).

Lesung Dieter Schlesak

1934 in Schäßburg geboren, 1969 in die Bundesrepublik ausgewandert, seit 1973 in Italien, Camaiore, lebend, bezeichnet Dieter Schlesak sich als „Ost- und Westmensch, ... die heftig miteinander streiten“, als „Deutschen der dritten Art“. Er zählt sich folglich zu jenen, die „Heimatlosigkeit zu ihrer wahren Heimat machen“ (W. Hildesheimer). Das kann echte Kreativität beflügeln, die Muttersprache ist dann „das einzig sichere Haus“ (D. Schlesak), darin werden die Dunkelräume der Geschichte geöffnet, Generationen werden befragt, dies Haus erdet die Utopie und macht Realität bewohnbar.
Dieter Schlesak auf Schloss Horneck. Foto: Hans-Werner Schuster
Dieter Schlesak auf Schloss Horneck. Foto: Hans-Werner Schuster

Dies Haus ist eine Grenze, seine Sprach-, lies Metaphernwelt, beherbergte einst Gleichgesinnte, sperrte die Zensur aus. Heute ist es der Ort, von dem aus der Dichter und Denker auch Inkursionen in Bereiche jenseits der Realität und Gegenwart unternimmt. „Grenzstreifen“ hieß sein erster, noch in Rumänien erschienener Lyrikband, „Poesia metafisica“, von acht sein bisher letzter, ist noch nicht erschienen.

Den Grenzgänger faszinieren die Ursprünge der Kulturen weit jenseits des Abendlandes, Bereiche der Psychologie, Esoterik, immer auf der Suche nach der Wahrheit, „einer tieferen Wahrheit, die der Geschichte entkommt oder sie überschreitet“, schrieb Emile Cioran an den Dichter. „Vaterlandstage und die Kunst des Verschwindens“, „Wenn die Dinge aus dem Namen fallen“, „So nah, so fremd“, „Stehendes Ich in laufender Zeit“: schon eine Auswahl von Titeln literarischer Prosa des Autors suggeriert die Selbstortbestimmung im Paradoxon, in der fließenden Metapher. Nichts hält es auf – und es gibt auch keinen Halt –, das permanente Befragen des So-Seins und des Warum. Aber es dient der Wahrheitsfindung.

Bei der Autorenlesung auf Schloss Horneck ging Dieter Schlesak der Befragung in seinem jüngsten, noch unveröffentlichten Roman „Terplan, oder die Kunst der Rückkehr“ nach. Der Ich-Erzähler, ein Alter Ego Schlesaks, ausgewanderter Siebenbürger Sachse, will wissen, wie es sein konnte, dass zwei Diktaturen einen in Jahrhunderten bestehenden Volksstamm einfach wegspülen konnten, einfach wegknickten. Er versucht, auf den Spuren der Antworten, wieder zu Hause anzukommen, in Wahrheit. Sein Zuhause ist aber Fremdsein geworden, in Wahrheit gibt es keine Gespräche. Die führt er in der Erinnerung, mit Toten.

Sehr leise und zurückhaltend las Dieter Schlesak. Seine Wahrhaftigkeit milderte die Betroffenheit der Zeitzeugen. Erfreulicherweise waren sehr viele Jungakademiker im Publikum, Postgraduierte, Gäste eines Seminars des Siebenbürgen-Institutes, deren wissenschaftliches Schwerpunktthema Siebenbürgen lieferte. Nach der Lesung Dieter Schlesaks aus einem weiteren Roman „Vlad der Todesfürst oder die Dracula-Korrektur“, 2000, in dem er dem Mythos auf umfassend dokumentierte und eigenwillig überraschende Weise nachgeht, bildete sich am Büchersignier-Tisch eine lange Schlange, da fast jeder das Gespräch mit dem Autor suchte.

Neben Andreas-Gryphius-Förderpreis, Schubart-Literaturpreis, Nikolaus-Lenau-Preis, Hauptpreis Prosa des Ostdeutschen Kulturrates und zahlreichen Förderstipendien hat Dieter Schlesak 2001 die Ehrengabe der Schillerstiftung Weimar erhalten, „für das Gesamtwerk“. Auf der Suche des Rastlosen nach Wahrheit, Sinn und Form wird sich Letzteres hoffentlich noch lange weiterschreiben.

Fotoausstellung Hermannstadt

Dass die ausgewanderten Siebenbürger Sachsen der heimatlichen Träume „dunkler Rest ... niemals mehr entlässt“ (Walter Myss), ist Gegebenheit. Nicht selbstverständlich ist es, wenn sich gebürtige Bundesdeutsche als Freunde und Förderer unserer Belange zeigen, einsetzen. In diesem Sinne gilt ein besonderer Dank Herrn Lothar Oheim, Bürgermeister von Gundelsheim, und den Damen und Herren des Stadtrates, als Mitveranstalter dieser Kulturtage, als Gastgeber und Freunde. Ein Zeichen, sozusagen, für solch gute Unterstützung unserer Anliegen lieferte neben der Eröffnungsveranstaltung der Kulturtage die tags darauf folgende Eröffnung der Ausstellung „Hermannstadt. Einblicke eines Partners und Freundes“.

Karin Servatius-Speck und Bürgermeister Lothar Oheim bei der Ausstellungseröffnung. Foto: Hans-Werner Schuster
Karin Servatius-Speck und Bürgermeister Lothar Oheim bei der Ausstellungseröffnung. Foto: Hans-Werner Schuster

Das Rathaus Gundelsheim hatte dafür seine Eingangsräume zur Verfügung gestellt, und Bürgermeister Oheim begrüßte als Herr des Hauses die Gäste, darunter Vertreterinnen und Vertreter des Gundelsheimer Stadtrates. Der ausstellende Künstler, der sich Freund und Partner der Siebenbürger nennt, Dr. Karlheinz Rothenberger, Chefarzt am Klinikum Landshut und Präsident des dortigen Rotary Clubs, vielfach auch international für Kunstfotografie ausgezeichnet, ist gebürtiger Landshuter und war 2001 zum ersten Mal in Siebenbürgen. In zweifacher Hinsicht vermittelte diese Veranstaltung also, was wichtigstes Anliegen der Kulturtage hier ist: Die Darstellung des Besonderen mit integrativem Charakter.

In einführenden Worten nahm Karin Servatius-Speck in diesem Sinne auch einen kurzen Einblick in Geschichte und kulturelle Leistungen der Siebenbürger Sachsen im Miteinander der Toleranz der siebenbürgischen Völkerschaften vor. Die dargestellten Motive, in künstlerischer Ausgewogenheit und dank suggestiver Titel keiner „Erklärung“ bedürfend, sollten trotzdem einen kontextuellen Zugang erhalten: die wehrhaften Mauern und Türme im schwarz-weiß-Kontrast des Tageslichtes, das auf seine Weise die Zeit zählt, Gesichter, in die wenig Licht und Freude die Zeitspuren gegerbt haben, aber auch das beschwingte Bild des Alltags im durcheinander wirbelnden Puzzle, in dem sprichwörtliche siebenbürgische Gastfreundschaft, aber auch ein süd(öst)liches dolce far niente nicht fehlen dürfen.

Fotografien verwahren den Augenblick. Dessen Dauer aber bestimmt der Fotograf, sie ist gleich dem nach-denkenden Verweilen des Betrachters. Und man kann lange und gerne verweilen vor diesen Impressionen aus Siebenbürgen, die auch in die persönliche Geschichte ihres Autors hinein jonglieren, in denen sich der Landshuter tatsächlich als Freund Siebenbürgens outet mit großer Empathie für den Gegenstand, mit seriösem Können im Metier, mit sympathischer Neugierde und viel Witz. Man darf sich auf weitere Dokumentationen dieser Geschichte mit „Liebe auf den ersten Blick“ freuen!

Diesen ersten Veranstaltungen sollten noch zahlreiche weitere, ebenfalls sehr gelungene, folgen, mit Wort und Bild aber auch Musik und Tanz als Botschafter einer großen kulturellen Leistung. Die Kulturtage 2002 werden in der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. Dezember 2002 und 15. Januar 2003 dokumentiert.

Karin Servatius-Speck


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember, Seite 1 und 4)

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