30. Januar 2001

Detlef von Larcher (SPD) über die Aufarbeitung siebenbürgischer Vergangenheit

Zum Leitartikel "Wahrhaftigkeit vor der Geschichte: Chance für die Zukunft", erschienen in der Folge 1/2001 der Siebenbürgischen Zeitung, richtete der aus Hermannstadt stammende Bundestagsabgeordnete Detlev von Larcher (SPD) folgenden Brief an die Redaktion:
Zum zweiten Mal schreibe ich Ihnen zu unserer Geschichte. Unmittelbar nach der 850-Jahr-Feier in der Paulskirche hatte ich kritisiert, dass all die vielen Festredner damals kein Wort über die Siebenbürger in der Nazizeit geäußert hatten. Die Jahre gab es nicht, so wie es meinen Onkel Wilhelm Staedel, damals Bischof von Siebenbürgen, in der Bischofsgalerie in Hermannstadt zu Recht nicht gibt. Aber wissen müssen wir von ihm.
Als ich die Überschrift: "Wahrhaftigkeit vor der Geschichte..." las, war ich angenehm überrascht und habe voll Neugierde gelesen. Und am Schluss war ich dann doch ein wenig enttäuscht.Ich habe überhaupt kein Problem damit, Vertreibung beim Namen zu nennen. Auch spreche ich offen über die Verbrechen, die an deutschen Flüchtlingen und Deportierten verübt wurden. Und die Verbrechen kommunistischer Diktatur offen anzusprechen, scheut sich doch heute niemand, und in Westdeutschland scheute sich auch früher niemand.
Aber genau so offen sollten wir auch über unsere Nazivergangenheit sprechen. Die werden wir doch nicht los, auch wenn wir sie verschweigen. Richtig schreibt Herr Göbbel, über die "Vorgeschichte" der Vertreibung: "Eine entscheidende Ursache dafür liegt in der menschenverachtenden, rücksichtslosen Umsiedlungs- bzw. Deportations- und Vernichtungspolitik der Nazis."
Aber dann der Satz: "In diesen historischen Strudel wurden auch wir Siebenbürger Sachsen mit hineingerissen." Wieso wurden wir hineingerissen? Hatten wir Siebenbürger Sachsen mit den Nazis nichts zu tun? War es nicht so, dass es Siebenbürger Sachsen gab, die schon lange vor der Machtergreifung Hitlers mit diesem oder seinem Umfeld Kontakt hatten und aktiv für den Sieg der Nazis eintraten? Wir, bzw. unsere Väter und Großväter haben doch den Strudel mit erzeugt. Und leider haben uns unsere "jahrhundertealten siebenbürgischen Grundwerte" - wie unser Durchhaltevermögen, unsere Anpassungsfähigkeit, Toleranz und unser Gemeinsinn - davor nicht gefeit.
Ich bin sehr für die "Wahrhaftigkeit vor der Geschichte", aber bitte doch vor der ganzen Geschichte.Voll einverstanden bin ich mit dem Aufruf von Herrn Göbbel, die Chance kraftvoll wahrzunehmen, aus der Kenntnis unserer Geschichte heraus unsere und die Zukunft unserer Mitmenschen in Deutschland und in Europa mitzugestalten. Denn ich bin sicher, wir werden das tun für eine friedlich, demokratische, sozial und ökologisch nachhaltige Zukunft.

Detlev von Larcher, MdB
Weyhe/Berlin



Kontakt per E-Mail: detlev.larcher@t-online.de

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